Marigold

In diesem Film ist die mexikanische Filmemacherschule kaum zu leugnen - eine distanzierte, starre, stillschweigende und traumatisierende Sonde in eine Welt, in die wir keine Sekunde lang schauen wollen. Ein Blick aufs Elend des Todes sowie die vergebliche Bemühung des Helden, den Verlust zu verstehen und den Schmerz zu akzeptieren. Die einzigen Zweifel werden durch die Art und Weise hervorgerufen, wie Franco seinen Film zu Ende bringt - handelt es sich um eine Geste eines Regisseurs, der um jeden Preis schockieren möchte, oder nur um die missverstandene Geste einer Hauptfigur, die den Weg nach vorne nicht mehr erkennt? Trotz leichter Verlegenheit nach der Show ist dies ein in bemerkenswerter Weise durchdachter Film, in welchem Tim Roth buchstäblich physisch zu einer Krankenschwester inkarniert wird, für welche das Sterben eine Obsession ist. [Cannes 2015]

Für Meditationsiebhaber und Fans von Filmen, die als 120-minütiges Gemälde tiefster Ekstase dienen. Geniale Arbeit mit Misanszenen, außerirdisch anmutender Verwendung von Open-Air-Szenen, eine eigenartiger Neufassung der Regeln des Wuxia-Genres, wie sie in den Hollywood-Epen der vergangenen Jahre definiert wurden, und eine Filmemachervision, bei der wir jede Sekunde der sieben Jahre empfinden, welche Meister Chou alledem gewidmet hat. [Cannes 2015]

Audiard ist selbstverständlich ein erfahrener Filmemacher, was er auch an vielen Stellen beweist, doch ansonsten ähnelt Dämonen und Wunder einem Torso, welcher aus vielen dringlichen humanistischen Themen besteht, die nur skizziert werden, ohne dass hiermit systematisch gearbeitet wird. Der Film zerfällt daher ungefähr ungefähr in der Mitte in Anbetracht ziemlich seltsamer Motivationen und emotionaler Wendungen. Obwohl das Finale bei uns Erinnerungen an Taxi Driver hervorruft, sieht dies hier eher aus wie ein frustrierter Tamil-Rambo aus den Vororten von Paris. Der Streifen erscheint mir somit eher als ein ratloser Versuch zu sein, die derzeitige Geopolitik zu kommentieren, wobei hier die am besten zugängliche Saite bespielt wird. Außerdem zeichnet sich der Film dadurch aus, dass er unter großem Druck fertiggestellt wurde - und es erwacht der Eindruck, als fehlten bestimmte Teile. Die Goldene Palme Seite an Seite mit Konkurrenten wie The Assassin und Son Of Saul zu gewinnen, stellt meiner Ansicht nach eine rein politische Entscheidung dar. [Cannes 2015]

Zwei von Schafsböcken aufgezogene Schafsböcke sprechen miteinander vierzig Jahre lang nicht, bis eine Infektionskranheit, sie dazu zwingt, die ihre benachbarten Herden angreift. Ein poetisches Drama über Brüder, welches die minimalistische Poesie nutzt, mitsamt faszinierender Landschaften, bildschaffender Kameras des aufstrebenden Stars Sturla Brandth Grøvlen, sparsam wirkender Kreationen bärtiger einsamer Menschen und typisch isländisch seltsamer Exoten. Eine Verfehlung ist dagegen der Versuch, gegen Ende Naturalismus / Symbolik miteinander zu verbinden, der gewissermaßen etwas nervig didaktisch und schülerhaft anmutet. Jedoch ansonsten gehört der Streifen Sture Böcke angesichts der Konkurrenz der skandinavischen geschlossenen Dramen definitiv ins Scheinwerferlicht von Cannes. [Cannes 2015]

Es handelt sich hier um ein veristisches soziales Drama, welches aus einem qualvollen Karussell der Jobsuche / -ausführung besteht, das hart an der Grenze der Menschenwürde entlangschweift. Brizés Methode erinnert die Dardenne-Brüder daran, doch leider fehlt es hier an der entsprechenden Dynamik, Timing und sowie der Fähigkeit, die Geschichte auf die bestmögliche Art und Weise zu vervollständigen. Ein wichtiger, jedoch in Vergessenheit ausklingender Film darüber, wie unbarmherzig heutzutage der Wert eines Menschen bemessen wird. [Cannes 2015]

Ein selbsreflexionsloser Versuch, ein psychologisches Drama über einen verstörten Soldaten mit einem Thriller zu verknüpfen, in dem es um die Familie eines zweifelhaften libanesischen Geschäftsmannes geht. Er hätte packend und dramatisch sein sollen, doch heraus kam lediglich eine ungezogene Mischung aus Paranormal Activity, Kommissar Rex (mit Antidepressivaverabreichung) sowie einem Thriller mit dem bekannten tschechischen Schauspieler Ondřej Vetchý heraus. Letztendendes ist der finale Titel Disorder doch ein passender Titel - jedoch es scheint, dass außer des Haupthelden die Crew selbst auch unter (Wahrnehmungs)Störungen litt. [Cannes 2015]

Es mag verwirrend klingen, dass Maïwenn "lediglich" etwas präsentiert, was von Hunderten zuvor bereits gedreht worden war. Doch wir sollten hierbei nicht vergessen, dass ihre Version der Geschichte einer turbulenten Beziehung voll mit brillanten Dialogen, geschickt gezielten Situationen, leicht zu liebender Charaktere und Vincent Cassels königlicher Energie ist. Dies ist eine seltene Situation, wo Abstand, Zugänglichkeit und Intelligenz in einem romantischen (Melo-) Drama Hand in Hand dahinschreiten. [Cannes 2015]

Ein Ambiente des Wahnsinns, ein lebendig gewordener Albtraum der Geschichte, die menschliche Existenz reduziert auf ein verrenktes Flüstern, Infinitive und einen verschwommenen Blick über die Schulter. Ein Film, nach dem 99 % aller Holocaust-Filme nur noch ein Übermaß an erbärmlichen Vetos sind. [Cannes 2015]

Ein Film, der eine ausreichende Basis dafür hat, auf der er bauen kann - ein starkes Thema, einen großartigen Hauptdarsteller, eine Möglichkeit, das System zur Betreuung von sich in Schwierigkeiten befindenden Teenagern prozedural darzustellen - jedoch fehlt es dem Ganzen an ausreichenden Fertigkeiten, über schlichte Empathie oder eine mangelnde eigene Meinung hinauszugehen, und wo sich die symptomatische und sehr umständliche Wahl der klassischen Musik hinzugesellt (Doch leider ist dies nicht Der Junge mit dem Fahrrad). Bercot fehlt es sicherlich weder an Begeisterung oder Gefühl zur Arbeit mit Schauspielern, doch leider ist sie nicht fähig, dieses Porträt eines Soziopathen dringlich, dynamisch und mit der Fähigkeit zu erstellen, welche den Betrachter aus der Komfortzone lockt ... Heraus kommt hier lediglich ein recht anständiges soziales Drama. [Cannes 2015]

Ich bin ein alter und konservativer Mensch, der es nicht mehr fertig bringt, schnell genug mit dem Tempo von Michael Bays hypnagogischer Sitzungen mitzukommen, und der unbeholfenen Figuren immer mehr genießt, die stets ihr eigenes Ego verwöhnen müssen. Ich kann darüber lachen und selbst über das absolut tragische Liebesknurren des Greenhorns sowie eines Russenmädchens hinwegsehen, das ich ohne zu zögern als einen der größten Regiefails in der gesamten Marvelgeschichte bezeichnen würde. Abermals bewegen sich die Avengers nirgendwohin, wiederum arbeiten sie mit demselben (und nicht ganz frisch anmutendem) Aktionsmodell und abermals sehe ich keine schwindelerregende Gradierung in ihnen. Das ganze macht unter anderem deshalb Spaß, weil ich zum ersten Mal in der Marvelgeschichte um das Leben einer der Figuren Angst hatte und weil es sich um die erste Soloaktion Hawkeyes handelt, der mich ohne Vorwarnung aus dem Hinterhalt erwischt hat. Ich habe eben das erhalten, wofür ich ins Kino gekommen bin. Ein langsames, leicht gekünstelt wirkendes und konservatives Kostümevent, das in seiner Größe eigentlich wieder merkwürdigerweise intim wirkt, zumal es sich im Grunde genommen, um eine Gruppe an Freunden handelt, die sich nach Ruhe sehnen.